|  | Das heimische Brauchtum
  Es ist heutzutage kaum noch etwas vorhanden vom
      Brauchtum unserer Vorfahren. Gerade deshalb scheint es angebracht, in
      einer Zeit, die kulturell von den Massenmedien, vom Rundfunk, vom
      Fernsehen und von Diskotheken beherrscht wird, das althergebrachte
      Brauchtum noch einmal in Erinnerung zu rufen.
 
  Schon Neujahr wurde festlich begangen. Mangels Feuerwerkskörpern
      begrüßte man das Neue Jahr mit hausgemachtem Lärm und gelegentlich auch
      mit dem Abschießen von Feuerwaffen. Pistolen und Musketen waren schon
      seit dem Dreißigjährigen Kriege in Hahausen vorhanden und bei den
      mancherlei Einquartierungen und kriegerischen Ereignissen blieb die eine
      oder andere Waffe liegen. Auch die Wildschützen wußten sich stets mit
      Waffen zu versorgen. Es ergingen daher vom Amt Lutter ständig Verbote
      wegen des Schießens in der Neujahrsnacht, so besonders in den Jahren 1750
      bis 1760 n. Natürlich wurde auch sonst noch in der Nacht von
      Sylvester zum Neuen Jahr allerhand Unfug getrieben, gut gegessen und
      getrunken, wobei Heringssalat und Prillecken nicht fehlen durften, Blei
      gegossen, und junge Leute sprangen manchmal vom Tisch herab ins Neue Jahr.
 
  „Lichtmessen können die Herren bei Tage was
      essen" heißt es in einem auch in Hahausen bekannten Reim. Manchmal
      wurde jedoch hinzugefügt „. . . und die Armen, wenn sie was
      haben". Dieser Reim ist die einzige matte Erinnerung an das seit dem
      Jahre 541 zum Andenken an das Reinigungsopfer der Jungfrau Maria im Tempel
      jeweils am 2. Februar gefeierte Fest Mariä Reinigung oder Lichtmeß. Der
      Sinn desselben wurde in unserem Dorfe wohl bald nach Einführung der
      Reformation verdunkelt. Jedenfalls waren die zu Lichtmeß geübten
      Bräuche um das Jahr 1870 herum in Hahausen bereits in Vergessenheit
      geraten und wurden auch nicht mehr ausgeübt.
 
  Das nächste Fest war die Fastnacht, in Hahausen, im Ambergau und im
      übrigen Harzvorland und darüber hinaus Fasselabend genannt. Knackstedt 2)
      erzählt 1899 die nette Geschichte von dem Schulknaben, der vom
      Superintendenten gefragt wurde, welches wohl das schönste Fest sei. Er
      antwortete nach seiner Weise ganz recht: Fasselabend. Es wurde ja auch
      recht ausgiebig gefeiert mit Essen und Trinken und Musik und Tanz, im
      benachbarten Bornhausen volle acht Tage lang.
 Fuje, fuie, FasselabendFasselabend is huite
 Geeft ösch wat in de Tuite
 Äppel oder Beeren
 Nötte mögt wei geeren
 So schallte es noch bis in unsere Zeit am
      Fastnachtstage durch die Straßen und über die Plätze unseres Dorfes.
      Abenteuerlich maskierte und kostümierte Kinder zogen von Haus zu Haus und
      brachten ihren Heischereim an den Mann oder die Frau. Dabei wurde „gefuiet",
      das heißt, man strich oder schlug den so Angesprochenen mit einem
      Tannenzweig um die Beine.
  1) St. A. Wob. 8 Alt Lu 65
 2) Knackstedt,K.: Geschichte des Dorfes Bornhausen bei Seesen,Braunschweig
      l899,S.204
 
  Chronik, Seite 189
 Es gab dann auch immer wieder kleine
      Geschenke: Äpfel, Nüsse, Süßigkeiten oder auch Geld. Wenn die Hausfrau
      jedoch zu lange mit der Austeilung der Gaben auf sich warten ließ, konnte
      man hören: Lat ösch nich tau lange stahnWei mottet noch en Hüs weier gähn.
 Bekamen die Kinder aber keine Geschenke, so äußerten sie sich oft in
      recht drastischer Weise:
 Trüll, trüll, trüll,schitt deck wat up'n Süll.
 Doch nicht nur die Kinder veranstalteten solche
      Heischegänge. Bis in die Jahre zwischen den beiden Kriegen zogen zum
      Fasselabend auch die jungen Burschen mit einem „Treckebalg" durch
      das Dorf, auch sie verkleidet und bemalt. Ein „Strohbär" wurde an
      Ketten von einem „Bärenführer" mitgeschleppt und ergötzte
      Männlein und Weibiein und natürlich ganz besonders die Kinder mit seinen
      Tanzstückchen. Ein anderer Bursche trug eine Gaffel, manchmal auch eine
      Forke, an der die eingesammelten Würste aufgehängt wurden. Diese „Tropps",
      meist noch mit einem Handwagen oder einem ausrangierten Kinderwagen
      versehen, in dem sie weitere Gaben wie Prillecken und „Nordhäuser"
      verstauten, liefen, singend und lärmend und mit Peitschen knallend, durch
      das Dorf, um sich nach getaner Arbeit in einer Scheune, seltener in einer
      Gastwirtschaft, an den gesammelten Genüssen gütlich zu tun. Man trank
      dann meist „BranneweinskoschaHg", Branntwein, in den Honigkuchen
      „geplockt" wurde. Die Lieder, die von den jungen Männern gesungen
      wurden, sind heute meist in Vergessenheit geraten. Am bekanntesten und in
      Variationen im ganzen Harzgebiet verbreitet, war der Vers: Wenn Fasselabend is, wenn Fasselabend is,dann schlachtet mein Vader en Bock,
 dann danzet meine Mudder, dann danzet meine Mudder
 in öhren roen Rock.
 Fastnachtstreiben ist in ganz Ostfalen schon seit mehr
      als 500 Jahren bekannt, wie Berichte aus Hildesheim, Braunschweig und
      Goslar überliefert haben. Es kam dabei jedoch manchmal zu Ausschreitungen
      und deshalb sorgte die Obrigkeit durch Erlasse und Anordnungen dafür, dass diese nicht Überhand nahmen. „So tun unsere gnädigsten Fürsten
      und Herren hiermit ernstlich gebieten" heißt es in einem Erlass aus
      dem Jahre 1587, „dass keiner ohne Rock oder Mantel in bloßen Hosen oder
      Wams tanzen noch die Frauens-Personen verdreien oder werffen, sondern
      einjeder züchtig tanzen und sich der Leichtfertigkeit enthalten
      solle."
  Ja, an allerlei Ausschreitungen, Foppereien und
      Prügeleien fehlte es an Fastnacht in der Tat nicht. So wurde in
      Bornhausen im Jahre 1855 von Seiten der Polizei jede Feier an den
      Wochentagen verboten 1).
 
  Manchmal jedoch hatte auch die Obrigkeit ein Einsehen
      und daher ist die nachstehende Geschichte nicht ohne einen gewissen Reiz.
      So klagte die Gemeinde Hahausen im Jahre 1665 „gegen Hanß Hessen
      daselbst", dass er den Zaun vor 1) Knackstedt, a. a. O., S. 205
 
  Chronik, Seite 190
 
      
      seinem Garten an der Heerstraße „etliche fußbreit zu
      weit" herausgesetzt habe. Das Amt Lutter entschied jedoch, daß der
      Zaun stehen bleiben solle. Der Krämer und Gastwirt Hesse musste „dafür
      der gemeine Zum Bauer Köhr 1/2  faß bier geben" und zwar „für den großen bevorstehenden
      fastnachten" ". Zu den Fastnachtsbräuchen in Hahausen und der
      näheren Umgebung gehörte zunächst das „Fuien", das bereits
      erwähnte Einschlagen mit einem Fichten-, Wacholder- oder Hülsdornzweig
      als dem Sinnbild des immergrünen, unverwelk-lichen Lebens auf andere
      Menschen, denen man damit ebenfalls neue Lebenskraft einfößte.
   Wie Werner Flechsig berichtet 2), wurde dieser Brauch,
      der 1901 bereits von Andree in seiner „Braunschweigischen
      Volkskunde" beschrieben wurde, im Jahre 1943 noch in 54 Orten des
      damaligen Kreises Gandersheim, in 32 Orten des damaligen Kreises Goslar
      und in 34 Orten des Kreises Wolfenbüttel ausgeübt, darüber hinaus im
      Braunschweiger, Hildesheimer und Calenberger Land bis nach Westfalen
      hinein.
 
   Die Umzüge mit Stroh- (oder Erbs-) Bären sind 1943 bezeugt aus 20
      Orten des Kreises Gandersheim, aus 16 Orten des Kreises Goslar und aus 22
      Orten des Kreises Wolfenbüttel. Außerdem wurde dieser Brauch in weiten
      Teilen des Ostharzes ausgeübt.
 
   Heute sind diese Bräuche nahezu restlos verschwunden. Auch das „Hänseln"
      der Enken (Bauernknechte), das von Flechsig 1943 noch festgestellt wurde,
      gibt es heute nicht mehr, schon weil es bei den Bauern keine Enken mehr
      gibt. Das nächste Fest im Jahreskreis ist Ostern. In der Osternacht
      gingen früher die jungen Mädchen, junge, ältere und auch alte Frauen
      zum „Schöttelborn" oder einem anderen fließenden Gewässer, um
      Osterwasser zu holen. Dabei durfte nicht gesprochen werden, da sonst das
      Osterwasser, das für mancherlei Heilzwecke verwendet wurde, besonders zur
      Heilung von kranken Augen, seine Wirksamkeit verlieren würde. Die jungen
      Burschen machten sich daher manchmal den Spaß, Frauen und Mädchen auf
      ihrem geheimnisvollen Wege zu ärgern und zu necken, um sie so zum
      Sprechen zu bewegen.
 
   Für die Jugend des Dorfes war jedoch das Osterfeuer das allerwichtigste.
      Schon Wochen vor dem Fest hatte man Vorbereitungen zum Bau der Osterfeuer
      getroffen. Reisig, Wasen und trockenes Holz wurden herbeigeschleppt und
      manchmal stellte ein Bauer sogar sein Fuhrwerk zum Transport des
      gesammelten Brennmaterials zur Verfügung. In Hahausen gab es früher
      stets mehrere Osterfeuer. Die Jungen von der Neustadt, aus dem Unter- und
      Oberdorf, von der Hütte und aus Neuekrug wollten sich beim Bau derselben
      gegenseitig übertreffen. In den Tagen vor Ostern wurden Wachen
      ausgestellt, damit eine „gegnerische" Mannschaft den so mühsam
      aufgestapelten Holzstoß nicht bereits vor dem Fest anzündete.
 
   Von Vätern, Großvätern, größeren Geschwistern oder auch vom
      Stellmacher ließen sich Jungen und Mädel schon Wochen vor dem Fest eine
      riesengroße
 
   1) St.
      A. Wob. 21 Alt 596
 2) Flechsig, Werner: Karneval oder Fassekbend in Ostfalen. In: „Braunschweigische
      Heimat", Braunschweig 1953, Heft 4, S. 119 - 122
 
   Chronik, Seite 191
 Fichtenfackel anfertigen, die der kleine
      Mann oder das kleine Mädchen oft kaum tragen konnte. Die Fackel wurde
      fachmännisch gespalten und in die Spalten wurden Holzspäne gesteckt.
      Dann ließ man sie Tage vor dem Fest bei Bäcker Mull oder Bäcker
      Weißensee im Backofen trocknen. Danach wurde sie noch mit Teer
      bestrichen.
   Ja, und dann kam Ostern. Schon tags zuvor hatten die Kinder Nester
      gemacht, in die der Osterhase Eier legen sollte. Dann ging das Suchen los
      und die Freude war groß. Jetzt konnte man kaum noch die Zeit erwarten bis
      zum Osterabend.
 
   In den Straßen und auf den Plätzen des Dorfes lag die kühle Dämmerung
      des Vorfrühlingsabends. Aus Eis- und Schneeresten und winterkalter Erde
      dampfte Nebel. Der Ostermond guckte über die Berge. Da kribbelte und
      krabbelte es durch die Straßen, kleinere Kinder an der Hand des Vaters
      oder der Mutter, die größeren mit stolz geschulterter Fackel und die
      ganz großen Jungen machten sich mit wichtiger Miene am Holzstoß zu
      schaffen. Braune und gelbe Rauchschwaden quollen aus trockener Hecke. Sie
      ballten sich zu drohenden Wolken und stiegen wie eine endlose Säule in
      den Nachthimmel. Prasselnd fraßen sich die Flammen durch Harz und
      Fichtennadeln. Mit Feuer und Rauch wurde der Winter vertrieben.
 
   Um das Feuer her schwenkten die Kinder ihre Fackeln und zogen damit
      rauschende Feuerkreise um ihre Köpfe. Auf den umliegenden Wiesen und
      Feldern tanzten hundert Irrlichter. Der schwarzblaue Nachthimmel bildete
      den Hintergrund dieses Bildes der Frühlingsfreude und von Berg zu Berg,
      von Anhöhe zu Anhöhe,leuchteten Osterfeuer, Freudenfeuer, mit denen die
      Menschen den Sieg des Frühlings über den Winter feierten.
 
   Schon fast ein Jahrtausend lang, bevor das Christentum in das Harzvorland
      einzog, brannten hier Osterfeuer, dem Frühling zu Ehren und als
      Freudenfeuer nach endloser Winternacht. Die Wissenschaftler streiten sich
      bis zum heutigen Tage über die Frage, ob diese Feuer von unseren
      heidnischen Vorfahren zu Ehren einer Frühlingsgöttin Ostara abgebrannt
      wurden oder ob sie einem unpersönlichen Frühlingskult galten. Die
      letztere Richtung betrachtet das althochdeutsche ostarun als Mehrzahl zu
      ostara, bei einer Grundbedeutung „Aufgangszeit" weiterentwickelt zu
      dem Begriff „Auferstehungszeit". Schon die älteste christliche
      Kirche hat - nach anfanglicher Gegnerschaft -dieses Frühlingsfeuer, um es
      sich dienstbar zu machen, mit dem Passahfest zusammengelegt.
 
   Unsere germanischen Altvorderen kannten jedoch neben dem Osterfeuer noch
      den besonders wirkungsvollen Brauch des bergab Rollenlassens von
      Feuerrädern, in Hahausen von den Osterköpfen herab. Dieser Brauch wurde
      vor Jahren noch im Halberstädtischen und wird jetzt noch im
      Westfälischen ausgeübt.
 
   Erstmalig schriftlich erwähnt wurde das Osterfeuer vom Begründer der
      römischen Missionskirche in Deutschland, Bonifacius, dem geborenen
      Angelsachsen Winfried. Als er nämlich nach Deutschland kam, fand er schon
      um 750 im Osterkultus der christlichen Kirche das „ignis paschalis"
      vor, das Osterfeuer.
 
   Chronik, Seite 192
 Demnach hatte die tolerante iroschottische Mission, die
      selbst der Sonnenverehrung zuneigte, das germanische Osterfeuer geduldet
      oder an ihm teilgenommen. In einem Brief erbat Bonifacius vom Papst
      Verhaltungsmaßregeln. Aus der Antwort ist zu entnehmen, dass das
      Osterfeuer in Rom selbst unbekannt war.
   Die bisher älteste Nachricht vom Osterfeuer stammt schon aus der
      Harzlandschaft selbst. Der Helmarshäuser Benediktiner Conrad Fontanus
      schrieb vor 1300, dass das Volk auf dem Rethberg bei Gandersheim am
      Ostertage mit Sonnenuntergang schon seit Menschengedenken das Osterfeuer
      gehalten habe, welches die Alten „Bockshorn" geheißen. Man
      vergleiche hierzu die Redensart „Ins Bockshorn jagen". Nach Kühn
      und Schwarz „Norddeutsche Sagen" wurde an manchen Stellen im Harz
      vor dem Anzünden des Feuers ein Jagen abgehalten, indem man mit Knütteln
      und Steine werfend durch den Wald raste. Hier erkennt man die Absicht der
      Teilnehmer, zur Freude der Priester eine brutale Trennung zwischen sich
      und den Volksgenossen zu betonen, die noch auf den Heidenstiegen
      herbeieilten und nun nur noch von fern mit bitteren Gefühlen diesem
      christlich bestimmten Osterfeuer zusahen. In manchen Gegenden verbrannte
      man bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts rothaarige Eichhörnchen mit dem
      Osterfeuer.
 
   Im Harzvorland weisen zahlreiche Namen von Bergen auf die Stätten hin, an
      denen früher die Osterfeuer abgebrannt wurden; so neben unseren
      Osterköpfen die Osterberge bei Gandersheim und die Bodensteiner Klippen,
      die einst Ostersteine hießen, um nur einige zu nennen.
 
   Der Brauch des Osterfeuers hat sich bis jetzt in Hahausen und auch im
      gesamten Harzvorland erhalten und wurde auch von den Bewohnern der
      Oberharzer Bergstädte, die ja bekanntlich im 16. Jahrhundert überwiegend
      aus dem Erzgebirge in den Harz eingewandert sind, übernommen.
 
   An Walpurgis (30. April) glaubte man, dass in dieser Nacht die Hexen auf
      dem Besen zum Brocken ritten, um dort mit dem Teufel und seinen Dämonen
      ein Fest zu feiern. Dieser Glaube, der in der Zeit der Christianisierung
      unserer Gegend und der damit beginnenden Verfolgung des Heidentums
      entstanden war, erhielt während der Hexenverfolgungen1), die
      besonders im 16. und 17. Jahrhundert wüteten, neue Nahrung. Um das Vieh
      vor den Hexen zu schützen, malte man mit Kreide an die Stalltüre drei
      Kreuze. Dieser Glaube war schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts in
      Hahausen völlig erloschen.
 
   Das nächste Fest im Jahresablauf, das in Hahausen besonders gefeiert
      wurde, war Pfingsten. Den Mädchen, die sie mochten, brachten die jungen
      Burschen in der Nacht zum Pfingstsonntag junge Birken vor die Tür oder
      unter das Schlafzimmerfenster, den Mädchen aber, die sie geärgert hatten
      oder die sie ärgern wollten, wurde „Wittscheblaue" auf den
      Trittstein gekippt. Dabei wurde allerlei Unfug getrieben; Hof- und
      Gartentüren ausgehängt, Ackergerät versteckt oder gar ein mit Mist
      beladener Wagen auf das Haus- oder Scheunendach
 
   1) Kalthammer, Wilhelm:
      Hexenglaube und Hexenprozesse im Harzgebiet. In: „Unser Harz",
      Clausthal-Zellerfeld, Heft 4 und 5 1981, S. 68 - 71 und 84 -
      87
 
   Chronik, Seite 193
 transportiert, was
      tatsächlich in Hahausen passiert ist und doch wohl eine ordentliche
      Leistung darstellte.
   Auch das Erntedankfest wurde gehörig gefeiert mit Kirchgang, Essen und
      Trinken und Tanz im Dorfkrug.
 
   Im evangelischen Norden Deutschlands gilt der 10. November, der Geburtstag
      Luthers, als Martini oder Martinstag. Der eigentliche Tag des heiligen
      Martin, der ursprünglich ein Ritter, dann Bischof von Tours in Frankreich
      war, ist aber der 11. November, an dem Luther ja auch getauft und nach
      diesem Tage Martin genannt wurde.
 
   Die Wurzeln des Martinstages reichen bis in die Heidenzeit zurück. Um
      diese Zeit haben unsere Vorfahren den Göttern ihre herbstlichen Opfer
      dargebracht. Im Volksmunde gilt er als Grenze des Winters, „denn St.
      Martin kommt nach alten Sitten meist auf einem Schimmel angeritten".
      Eine dem Grundherrn zu entrichtende Abgabe zu diesem Tage war die
      sogenannte Martinsgans, die schon von den Mönchen des Mittelalters
      besungen worden ist. Die Gans soll das heilige Tier Wodans gewesen sein,
      während die Legende berichtet, Martin habe sich bei seiner Wahl zum
      Bischof in einem Gänsestall versteckt, sei aber durch das Schnattern der
      Gänse entdeckt worden. Die richtige Erklärung der Martinsgans dürfte
      darin zu sehen sein, daß die Gans in dieser Zeit ausgemästet ist.
      Immerhin wurde der „Gänsezehnten" in Hahausen erst irn Jahre 1841
      abgelöst. Zum Gedenken an den Wohltäter Martin scheint sein Tag von
      jeher wohltätigen Zwecken gewidmet gewesen zu sein. Zum „Martentag"
      zogen die Kinder in den Abendstunden wiederum von Haus zu Haus und
      heischten milde Gaben:
 
      
      Marten is en güen Mann,dei ösch wohl wat geben kann,
 Appel oder Beeren . . .
 
 
      
      In den letzten Jahrzehnten hat sich in der Zeit um den Martinstag die
      Sitte von Laternenumzügen der Kinder entwickelt. 
      
      Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne . . . 
      
      Martini, plattdeutsch Marteini, hatte einst in der
      Landwirtschaft eine nicht geringe Bedeutung. An diesem Tage waren Pachten
      und Abgaben fällig und die Dienstboten wechselten jeweils an diesem Tage
      ihre Stellung.
   Ob das Wintersonnenfest der Vorläufer unseres christlichen
      Weihnachtsfestes war, mag auf sich beruhen. Immerhin sind die weltlichen
      Bräuche des Weihnachtsfestes noch gar nicht alt, zumal früher die
      kirchliche Feier durchaus im Vordergrund stand. Erst in den letzten
      Jahrhunderten haben sich der Lichterbaum und die Sitte des Schenkens, die
      ehemals mehr eine Eigenart des Neujahrstages war, in deutschen Landen
      eingebürgert. Christlich ist der aus dem Nikolaus entstandene
      Weihnachtsmann, der in seiner Vermummung als alter Mann mit langem Bart
      die Bescherung am Heiligen Abend vornimmt, die Kinder ein wenig bange
      macht, die guten lobt und die bösen tadelt und sie wohl auch die Rute
      fühlen läßt. Um den Gestrengen milde zu stimmen, falteten die Kleinen
      zitternd die Hände und beteten:
 
   Chronik, Seite 194
 
      
      Lieber guter Weihnachtsmann Sieh mich nicht so böse an Stecke deine
      Rute ein, ich will auch immer recht artig sein.
   Weihnachten war und ist das Fest der Kinder, die sich schon lange
      vorher darauf freuen und deren Spannung noch durch das Heimlichtun der
      Eltern gesteigert wird. Heimlich kaufen und verwahren die Eltern die
      Geschenke für die Kinder. Die Jungen erhielten früher meist ein
      Schaukelpferd, Bleisoldaten oder Bauklötze, die Mädchen Puppen und die
      größeren schon etwas für die Aussteuer.
 
   Wenn nach einem kurzen und trüben Tage die Winternacht ihre
      geheimnisvollen Schleier über das Dorf breitet, dann rufen die Glocken am
      Heiligabend die Bewohner in die Christkirche. Vor dem Altar steht der mit
      Lametta und Kerzen geschmückte Tannenbaum, ein Stück Natur aus den
      heimischen Wäldern, das schon durch seinen harzigen Duft bezaubert. Die
      alten Weihnachtslieder erklingen, von der Gemeinde oder von hellen
      Kinderstimmen gesungen, die alte und doch ewig junge Geschichte vom Kinde
      in der Krippe im Stall zu Bethlehem läßt die Herzen höher schlagen und
      die Augen der Kinder hängen an dem strahlenden Tannenbaum. Nach dem
      Gottesdienst eilt alles so schnell wie möglich nach Hause. Vor
      Einführung des elektrischen Lichtes wurden dann mitgebrachte Stallaternen
      angezündet oder auch Großväter, die nicht mit zur Kirche gegangen
      waren, holten Kinder und Enkel mit der Laterne in der Hand vor der
      Kirchentreppe ab.
 
   Kam man dann nach Hause, so war der Weihnachtsmann oft schon dagewesen
      und hatte seine Gaben hinterlassen, die unter dem strahlenden Lichterbaum
      lagen. Wie glänzten da die Augen und wie plapperten die kleinen
      Mäulchen! Wie freuten sich die Kinder, über das einfachste Spielzeug
      vielleicht noch mehr wie über praktische Geschenke.
 
   War die Besichtigung der Gaben dann vorbei, dann wurden die alten
      sinnigen Lieder von der stillen und heiligen Nacht und andere im Kreise
      der Familie und vielleicht guter Freunde und Bekannter angestimmt. Zu
      Kaffee oder Wein aß man auch von dem Weihnachtskuchen, der, wie zu allen
      Festen, zu Haus zubereitet und auf langen Kuchenblechen beim Bäcker
      gebacken und auf besonderen Tragebrettern (Kaukenbräern) nach Hause
      gebracht wurde. Mitternacht war nicht mehr fern und man ging zur Ruhe. Die
      Kinder träumten in der Nacht vom Weihnachtsmann und seinen schönen Gaben
      und vom Christkind in der Krippe.
 
   Die Zeit um Weihnachten ist die dunkelste des ganzen Jahres, doch die
      schlafende Natur bereitet still und geheimnisvoll neues Leben vor. Darum
      war die Zeit zwischen den Jahren,
 „die Zwölf Nächte", schon
      unseren germanischen Vorfahren besonders heilig. Sie spielte auch eine
      besondere Rolle in der Zeitrechnung. Die Germanen hatten Mondjahre von 12
      Monden zu je 29 bis 30 Tagen. Die zum Ausgleich mit dem Sonnenjahr
      fehlenden 12 Tage wurden am Jahresschluss eingeschoben. So entstand die
      Zeit der Zwölf Nächte, auch „Zwischen den Jahren" genannt, als
      wenn sich die Zeit ein wenig Ruhe gönnte. Da hielt
 
   Chronik, Seite
      195
 auch der Mensch Einkehr bei sich selbst.
      Deshalb hörte früher alle Arbeit auf. Es durfte sich kein Rad, weder am
      Spinnrade noch am Wagen drehen. Das Waschen hatte zu unterbleiben, sonst
      starb dann meist jemand aus der Verwandtschaft. Wer Wäsche zum Trocknen
      aufhängte, lag im nächsten Jahre auf dem Friedhof, Knoten mussten
      gelöst werden, Spinnräder und Webstühle mussten gleichfalls ruhen und
      der Rocken leer gesponnen sein, damit er von der Göttin Freia nicht
      zerzaust wurde. Hülsenfrüchte kochte kein Mensch, weil er befürchtete,
      Schwären zu bekommen.
   In diesen Tagen, wenn der Sturm über Feld und Wald brauste, zogen
      nämlich nach dem Glauben der Urväter Götter und die Geister der
      abgestorbenen Seelen, auch der Unholde, durch die Luft: Wodan und Freia,
      das menschliche Schaffen segnend oder strafend. Ihnen folgte unter
      schaurigem Geheul die Meute der „wilden Jäger", nämlich die
      Geister der Abgeschiedenen. Durch nichts durften die Götter aufgehalten
      werden, man versuchte daher durch allerlei Mittel, sie günstig zu
      stimmen.
 
   In Hahausen war dies Gedankengut am Anfang unseres Jahrhunderts noch
      lebendig, heute ist es nahezu ganz tot.
 
   Sei schließlich noch der letzte Tag des Jahres, Sylvester, erwähnt. Am
      Abend ging der Nachtwächter, so Fritz Hoffmeister mit einem Hörn und
      Otto Schmidt bis in den 2. Weltkrieg mit einer Trillerpfeife, von Haus zu
      Haus, sagte seinen Spruch auf, mit dem er dem Haus und seinen Bewohnern
      alles Gute für das Neue Jahr wünschte und bekam ein Geldgeschenk.
 
 Chronik, Seite 196
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