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Die "Kalte Birke"
Die Stelle, der Platz, die Örtlichkeit, der
ehemalige Hagen oder das ehemalige Jägerhaus, Jagdhaus oder Forstgehöft,
nicht jedoch der Forstort1} „Kalte Birke" liegt im Jagen
48 des Forstamts Lautenthal, dicht am Schnittpunkt der Verbindungswege
Lautenthal - Hahausen und Langelsheim - Seesen, oberhalb der Granequelle,
am östlichen Abhang des Hohen Steins (571,6 Meter) und westlich des
Innerste-Stausees.
Die Stelle befindet sich im nordwestlichen Teil des alten
Innerste-Rennsteigs, der sich aus der Gegend von Buntenbock, immer
parallel zur Innerste, bis zum Harzrand bei Neuekrug hinzieht.
Die Gegend um die „Kalte Birke" ist ältestes geschichtliches
Gebiet. Schon der verstorbene Harzburger Kurdirektor Rokam 2) deutete die in der Nähe der „Kalten Birke" befindlichen
Plätze Lageswarte, Hoheleuchte, Fierpass (Füerpaß) und Bakenberg
3) als
älteste Signalstätten. Der in der Nähe befindliche Schwarze Berg sowie
der Teufelsberg stellen Verbindungspunkte zur Heidenzeit dar. Nach der
Gaueinteilung Karls des Großen vom Jahre 780 befindet sich die Stelle
oder der Platz hart an der Grenze von Ambergau und Wenzigau, wird jedoch
noch zu ersterem gerechnet. Die Grenze des Ambergaus verläuft nach
Günther 4) an der Wasserscheide zwischen Nette und Innerste.
Wann die „Kalte Birke" zum ersten Male von Menschen bewohnt wurde
und seit wann sie eine, wie auch immer geartete Bedeutung hatte, wissen
wir nicht. Auch, wie der seltsame Name zustande gekommen ist, bleibt bis
heute ein ungelöstes Rätsel.
Das Gebiet um die „Kalte Birke" kam im Jahre 974 als Zubehör
des Königshofes Seesen als Geschenk Kaiser Ottos II. an die Äbtissin von
Ganders-heim 5). Die erste urkundliche Erwähnung der „Kalten
Birke" erfolgte im Jahre 1350 mit der niederdeutschen Bezeichnung „an
de Koldenberken" 6). Durch diese Urkunde erfahren wir von
der Forstgrenze, die an dem „Renstich" entlang lief bis zum „Scharenkrutze"
(oberhalb des Kreuzbacher Teiches) und noch weiter. Es heißt dann auch:
„. . . an de Koldenberken unde vort wente an den Bakenberch, dar de
Renstich nedder gheit."
Durch einen Brief vom Jahre 1391 7) wissen wir von einem
Treffen zwischen Propst Conrad zu St. Cyriakusberg vor Braunschweig und
seinem „sundere gude vrunt", nämlich Hans von Kissenbrück, dem
Bürgermeister von Goslar „uppe de Kolden berken". Der Propst
bittet in diesem Brief den Bürgermeister um
1) „Eine Forstortsbezeichnung
Kalte Birke ist auf keiner Karte zu finden." Mitteilung des Nieders.
Forsteinrichtungs- und Vermessungsamtes in Braunschweig-Riddagshausen vom
9. 9.1971
2) Spier, H.: Zur Geschichte der Burg Schildberg bei Seesen. In: „Beiträge
zur Geschichte der Stadt Goslar", Heft 13, Goslar 1952, S. 32
3) Bake = Name für Feuerzeichen, jetzt in der „Leuchtbake" wieder
zu Ehren gekommen
4) Günther, F.: Der Ambergau, Hannover 1887, S. 4
5) Leuckfeld, J. G.: Antiquitates Gandersheimenses, Wolfenbüttel 1709, S.
104 und 105; MGH, Bd. 2, l Teil, DO II. 36
6) Goslarer Urkundenbuch, Band IV., Nr. 409
7) Goslarer Urkundenbuch, Band V., Nr. 864
Chronik, Seite 182
Mitteilung von Tag und Stunde, „alze wy dar to
dem Hagen myd eynander afreden umme den lantfrede . . .". Außerdem
wollte der Propst dort eine Unterschrift leisten. „. . . unde dar wil ek
niyne scrift bybringhen." Aus diesem Schreiben ist zu ersehen, dass
sich im 14. Jahrhundert an der „Kalten Birke" ein Hagen, also ein
mit einer Hecke, evtl. auch mit Palisaden oder einem Wall umfriedeter
Platz befunden haben muss. Dass gerade diese Stelle zu Verhandlungen und
Beurkundungen ausersehen wurde, läßt jedoch nicht nur auf einen „Hagen",
sondern auch auf feste Gebäude schließen. Schließlich kamen beide
Verhandlungspartner nicht allein. Der Propst kündigte an: „ . . . unde
ek wolde eynen mynes heren aniptlude myd my bringen". Außerdem
wurden beide von einem mehr oder minder starken Gefolge begleitet.
Worin die Bedeutung des „Hagen" auf der „Kalten Birke", in
welcher Form er sich auch dargestellt haben mag, im Jahre 1391 bestanden
hat, wissen wir nicht. Jedenfalls kann dieser nicht mehr zum Schutz der
umliegenden Bergwerksanlagen gedient haben, die vom „Alten Mann"
bis um die Mitte des 14. Jahrhunderts abgebaut und dann wegen der Pest und
technischer Schwierigkeiten zum Erliegen gekommen sind.
In einer Grenzbeschreibung der dem Kloster Neuwerk gehörenden Waldungen
vom Jahre 1475 1) führt die Grenze vom Innerstetal hinauf zum
Rennstieg „. . . . und over de Koldenberch vort to den Hogensteinen
wente over de Neyle". Von dort geht die Forstgrenze weiter über den
Frederickshop und die Glashütte (beim heutigen Neuekrug) und auf den
Steinbek (Steimkerbach). Den heute nicht mehr festzustellenden
Frederickshop sucht Professor Denker 2) in der Gegend von
Lageswarte und Lindtalskopf.
Die „Kalte Birke" wird im Jahre 1511 und dann wieder 1518 erwähnt,
als der Vogt von Seesen 3 Groschen dem Manne von „Bornhüsin"
(Bornhausen) zahlte, der „dath Wildbrath fand an der Kalden Birkin"
3)|. Auch wenn der Bergbaubetrieb des Alten Mannes
in der Gegend um die „Kalte Birke" um 1350 sein Ende gefunden hat,
so scheint er zumindest um 1520 wiederaufgenommen worden zu sein, wie aus
einem Register aus dieser Zeit zu ersehen ist 4).
So ist es auch nicht verwunderlich, wenn im Jahre 1546 der bekannte
Humanist Dr. Georgius Agricola (1494 -1555) im 5. Buch seines Werkes über
die Mineralien „De natura fossilium" eine Ortlichkeit „Kalte
Birke" irn Harz erwähnt 5). Uns interessiert besonders
die hier gebrauchte lateinische Bezeichnung „frigida betula" für
„Kalte Birke". Die deutsche Übersetzung „Kaltenbirk", die
der 1968 verstorbene Übersetzer Dr. Fraustadt im Jahre 1958 benutzte, ist
nicht glücklich
1) Goslarer Urkundenbuch, Band
IV., Nr. 526, hier jedoch unter 1355 angeführt. Diese Jahreszahl ist nach
Denker falsch
2) Denker, H.: Der Waldbesitz des Klosters Neuwerk im Oberharz nach den
alten Urkunden. In: Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und
Altertumskunde, Jg. 51 (1918), S.22-27
3) St. A. Wob. 22 A Alt 1535-1544
4) Denker, a. a. O., S. 29
5) Horst, Ulrich: Ein alter Eisenerzfundpunkt unweit des Forstorts „Kalte
Birke" im Nordharz, ein Beitrag zur AGRICOLA-Forschung." In:
Harz-Zeitschrift, 31. Jg. (1979), S.
119-126
Chronik, Seite 183
gewählt 1) und braucht uns auch nicht weiter zu
beschäftigen, da der Übersetzer keine Beziehungen zum Harz hatte. Auch
Agricola, der eigentlich Bauer hieß, hat den Harz nicht gekannt. So gibt
er die Entfernung von der „Kalten Birke" nach Goslar mit 4 Meilen
(6,0 km) an. Agricola nennt die „Kalte Birke" im Zusammenhang mit
den dort vorkommenden Eisenerzen Haematites und Schistos. Diese von ihm
beschriebenen Eisenerze sind ihm aller Wahrscheinlichkeit nach von anderen
Sammlern angeliefert worden 2). Bemerkenswert ist, dass
Agricola von dem Berge „frigida betula" schreibt, den sie, die
Einheimischen, „jedoch mit ihrer Bezeichnung", also deutsch bzw.
niederdeutsch, „ nennen; wir werden ihn Goslarer nennen." 3).
Die Bezeichnung „Goslarer" für die „Kalte Birke" hat sich
jedoch nicht durchgesetzt und wurde von Agricola, der die Gegend nicht
kannte, entweder nur recht oberflächlich gewählt oder sie sollte ein
Kompliment für die Stadt Goslar sein, bei deren Rat er sich wohl ins
rechte Licht setzen wollte. Wir erfahren hier wiederum vom Bergbau und den
im Gebiet um die „Kalte Birke" gewonnenen Eisenerzen.
So schreibt Ulrich Horst 4): „Südlich der früheren
Haltestelle Lindthal, wo die Innerste aus der südlichen in die
nordöstliche Richtung abbiegt, scharen sich zwei nachgewiesene und
mehrere in der Fortsetzung vermutete Erzgänge aus den karbonischen
Grauwacken und Tonschiefern der Nordwestecke des Harzes in herzynischer
Streichrichtung. Einige Aufschlüsse der nahezu senkrecht einfallenden
Gänge sind am Steilhang beim rechten Innersteufer gut zu
beobachten." Diese Erzgänge beschrieben u. a. schon Hassel und Berge
5), wobei sie sich auf Otto Siegmund Lasius und dessen
Topopetrographische Karte des Harzgebietes von 1789 bezogen. Es heißt
dort; „Das Gegental, unterhalb der kalten Birke, in der ehemaligen
Langelsheimer Forst. Hier werden ebenfalls einige Eisensteingruben mit
Vorteile betrieben."
Die Erzgänge setzen sich auch auf der Westseite des Gebirgskammes fort;
so wurde noch in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts am Bakenberg
bei Neuekrug, also auch in der Nähe der „Kalten Birke"
Eisenerzbergbau betrieben, wovon noch heute der Eisensteinsweg und ein
offener, ausgemauerter Grubenschacht am ehemaligen Zechenhaus zeugt. Der
Bergbau am Ostabfall dauerte bis in die Zeit zwischen den beiden
Weltkriegen.
Welchen Zwecken die Stelle, der Platz, die Siedlung oder der Hagen „Kalte
Birke" ursprünglich gedient hat; ob der Wegesicherung, dem Bergbau,
forstwirtschaftlichen oder jagdlichen Zwecken, wissen wir nicht. Nach dem
Hauptteilungsrezess vom 14. 12. 1635 über den sogenannten Kommunionharz
wurde die hohe und niedere Jagd im gesamten Kommunionharz dem Herzogtum
Braunschweig-Wolfenbüttel zugesprochen. Aus diesem Grunde
1) Horst, a. a. O., S. 119-120
2) Horst, a. a. O., S. 120-121
3) Horst, a. a. O., S. 121-122
4) Horst, a. a. O., S. 121-122
5) Hassel und Bege: Geographisch-statistische Beschreibung der
Fürstentümer Wolfenbüttel und Blankenburg, Braunschweig 1802, Band II.,
S. 397/98
Chronik, Seite 184
unterstand das Jägerhaus auffder kalten
Birke" 1) zunächst dem Forstamt in Lutter am Barenberge,
von 1676/78 an dem Förster in Hahausen. 1642/43 ist die Stelle in einer
Karte des Amtes Seesen als „Koldebercke" enthalten.
Wie das
Jägerhaus an der „Kalten Birke" aussah und wann es errichtet
wurde, ist nicht bekannt, doch hatte der Holzhauer Andreas Hoffmeister aus
Hahausen bei demselben bereits Ende des 17. Jahrhunderts 2) ein
einfaches Wohnhaus erbaut. Nach dem Kirchenbuch der Pfarrgemeinde Lutter
am Barenberge 3) ließ „Andreas Hoffmeister zur Kalten
Birke" 1692, 1694 und 1696 einen Sohn in Hahausen taufen. Im Jahre
1702 ließ Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel anstelle
des alten das neue Jagdhaus „zur Kalten Birke" erbauen, wohin als
erster Bewohner der Jagdzeugmeister Heinrich Meyer aus Hahausen versetzt
wurde. 1748 wurde der Jagdzeugmeister und Grenzschütze Bartlingk „zur
Kalten Birke" auf dem Friedhof zu Hahausen beerdigt, während sich
1750 der Grenzschütze Gebhard Siemens „zur Kalten Birke" mit
Dorothea Magdalena Futtermenger aus Seesen in Hahausen aufbieten ließ,
worauf er in Seesen getraut wurde. „Monsieur Gebhard Siemens, Fürstlich
Braunschweigischer Lüneburgischer Jäger zur Kalten Birke und Jungfrau
Dorothea Magdalena Futtermenger aus Seesum wurden am 24. November in
Seesum getraut." Im Jahre 1774 hatte die „Kalte Birke" 6
Bewohner, die dem Amt Lutter unterstanden 4).
Wenn auch m die Karte der Historischen Kommission für Niedersachsen 5)
eine Försterei „Kalte Birke" eingetragen ist, so hat es
dennoch an der hier behandelten Stelle nie eine Försterei gegeben. Wir
können uns da eher auf die Karte der Kurhannoverschen Landesaufnahme von
1784 verlassen, die ein Jaeger-Haus zur Kalten Bircke" verzeichnet 6)
Im Jahre 1788 erfolgte die Aufteilung des Kommunionharzes,
wodurch die „Kalte Birke" unter churbraunschweigische, d. h.
hannoversche Herrschaft gelangte. Nach der Grenzfestlegung im Jahre 1788
wurde die Grenze in den Harzforsten zwischen 1788 und 1790 versteint. Die
damals gesetzten Grenzsteine am Rennstieg stehen größtenteils noch heute
und sind immer wechselnd, an beiden Seiten des Weges gesetzt. Die Grenze
zur „Kalten Birke" bildete das braunschweig - wolfenbüttelsche Amt
Seesen. Die Grenzsteine wurden daher vom Beginn des Amtsbezirks bis zur
Nordseite des Lindthalkopfes mit den Nummern l - 269 versehen, die jeweils
auf der braunschweigischen Seite unter einem S für Seesen angebracht
sind. Auf der hannoverschen Seite befindet sich eine Wolfsangel. An der
„Kalten Birke" steht ein Stein mit der Nummer 195. Nach dem
Brandkataster vom Jahre 1792 gehörten zu dem Haus auf der „Kalten
Birke" ein Stall, eine Remise, Kuhstall und das Backhaus.
1) Groscurt, H.: Abriß der
Langelsheimischen und Astfeldischen Forsten, 1678
2) St. A. Wob. 26 Alt 1998 (1693)
3) (Gagelmann, W.): Heirnatbuch der Pfarrgemeinde Lutter a.
Bbge.,Luttera.B. 1926, S. 37
4) St.A.Wob.Ldsch.B1229
5) Veröffentlichung der Historischen Kommission für Niedersachsen 1746 -
1784 Blatt 4027,1961
6) Frdl. Mitteilung des Nieders. Forsteinrichtungs- und Vermessungsamtes
in Braun-schweig-Riddagshausen vom 9. 9.1971
Chronik, Seite 185
1794 finden wir den Jagdzeugmeister Walter „zur Kalten Birke" unter
den Abendmahlsgästen in Hahausen verzeichnet. Von seinen Schwestern wurde
eine in Seesen, eine andere in Lautenthal getraut. Sein Kuhhirt wurde in
Hahausen beerdigt. Bis um 1800 gehörte das Jagdhaus zur Pfarrgemeinde
Lutter am Barenberge.
Die „Kalte Birke" wurde nicht nur im Jahre 1802 mehrmals von Hassel
und Bege, sondern auch 1806 von Gottschalck " erwähnt: „Kaltebirke,
ein Jagdhaus auf dem Teufelsberge im herzoglich Braunschweigischen Amte
Staufenburg, worin ein herrschaftlicher Forstbedienter wohnt. Von
Lautenthal ist es 5/4 St. entfernt.,,
Von 1807 - 1813, in der westfälischen Zeit, gehörte die „Kalte
Birke" zum Kanton Zellerfeld im Distrikt Osterode und hatte 1812 19
Einwohner, 1814 -1825 gehörte sie zum Kreisgericht Harzburg. Es lässt
sich daraus ersehen, dass die braunschweigischen Jagdrechte im Gebiet um
die „Kalte Birke" bis weit ins 19. Jahrhundert hinein bestanden.
Im Jahre 1828 wurde das Jagdhaus auf der „Kalten Birke" auf Abbruch
verkauft und von einem Seesener Einwohner „hinter der Kirche"
wiederaufgebaut, wo es jetzt noch steht 2). Wenn in eine
Forstkarte vom Jahre 1840 3) ein Gebäude mit der Bezeichnung
„Kaltebirke" in den „Königl-Hannover: Forsten"
eingezeichnet ist, so kann dies nicht stimmen.
In die Übersichtskarte vom Forstamt Seesen vom Jahre 1968 ist der
Name „Kalte Birke" im Gebiet des F. A. B. Lautenthal zur
Orientierung aufgenommen 4), desgleichen in die Wanderkarte des
Harzes wie in die Topographische Karte 4027 Lutter am Barenberge von 1969.
Im Sommer 1969 wurde vom Harzklub Seesen an der hier behandelten Stelle
eine Hütte erbaut, die Wanderern Schutz und Obdach bei schlechtem Wetter
gewähren soll. Im Innern der 4,50 m langen und 2,10 m breiten
Schutzhütte wurden einige Bänke aufgestellt.
Der Platz oder die Stelle „Kalte Birke" wird, außer von der
genannten Hütte, nur noch durch Mauerreste, die Stelle des ehemaligen
Brunnens und die mit einem Schild „Kalte Birke" versehene Esche
verkörpert, die auf der Forstgrundkarte 1971 grün eingezeichnet ist.
Über die Entstehung und Bedeutung des seltsamen Namens „Kalte
Birke" wurden wiederholt Überlegungen angestellt, desgleichen über
die Bedeutung des Platzes als solchem. Auch in der Frage, ob an der „Kalten
Birke" ein Weg, eine Straße oder nur ein „Stieg" vorbeigeführt
hat, gehen die Meinungen auseinander.
1) Gottschalck, Friedrich:
Taschenbuch für Reisende in den Harz, Magdeburg 1806, S. 260
2) Hartmann, W.: Häuserbuch der Stadt Seesen, Seesen 1971, S. 345 - 346
3) Frdl. Mitteilung des Nieders. Forsteinrichtungs- und Vermessungsamtes
in Braun-schweig-Riddagshausen vom 9. 9.1971
4) Übersichtskarte vom Forstamt Seesen. Angefertigt im F. E. V. A. 1968
Chronik, Seite 186
Bleiben wir zunächst bei dem Namen. Dazu muss gesagt werden, dass
die Überlegungen, die bisher zu dessen Deutung angestellt wurden, ohne
konkretes Ergebnis blieben. Auch Dr. Werner Flechsig, der wohl beste
Kenner der ostfälischen Mundart, kann sich die Bezeichnung „Kalte
Birke" nicht befriedigend erklären 1). Nach Dr. Flechsig
kommen Flurnamen, die mit dem Eigenschaftswort „kalt"
zusammengesetzt sind, nur selten vor. Dagegen sei die Bezeichnung eines
Baumes als „kalt" völlig rätselhaft. Von Bedeutung ist jedoch die
Feststellung von Dr. Flechsig, dass man nicht daran zweifeln könne, dass
die verhochdeutschte Form „kalt" dem spätmittelalterlichen Beleg
von etwa 1350 genau entspräche.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass in den siebziger Jahren in
der Lokalpresse der Harzstadt Seesen die verschiedenartigsten
Deutungsversuche für den Namen „Kalte Birke" gemacht wurden. So
kam man vom „Koldeberg" zum „Kalten Berg" und vom „Köhlerberg"
zur „Koole Beeke" = „Kalter Bach". Auch eine „alte
Birke" wollte man erkennen wie einen „Holden Berg" — „schwarzer
Berg".
Zur Erklärung der Bezeichnung „Kalte Birke" sind nur Vermutungen
möglich. Man muss davon ausgehen, dass dort einst eine gut sichtbare
Birke gestanden hat. Diese wohl allein stehende Birke 2) wurde
dann zum Merkmal eines kalten Gebietes.
Dass die Stelle oder der Platz „Kalte Birke" im Mittelalter eine
besondere Bedeutung gehabt hat, ist aus dem vorliegenden Urkundenmaterial
zu ersehen. Es wäre sonst wohl kaum zu erklären, warum sich ein Propst
aus Braunschweig und der Bürgermeister von Goslar gerade an dieser Stelle
verabredet hätten. Welcher Art jedoch die Bedeutung war und seit wann
feste Gebäude vorhanden waren, muss noch untersucht werden.
Anzunehmen ist, dass die „Kalte Birke" im Mittelalter als Zentrale
eines Bergbaugebietes anzusprechen ist, die jedoch auch Bedeutung als
Weghaus hatte. Schon in sehr früher Zeit führte ein Weg, der sogenannte
Goslarsche Stieg, über die „Kalte Birke", der von H. Spier3) als
Fernverkehrsweg angesprochen wurde. Einen „Harzweg" von Seesen nach
der „Kalten Birke" gab es 1463, an ihm stand ein Wegkreuz, das „cruce
na der Kolden Berken"4).
Die Hypothese von Spier wird von Dr. Rippel 5)abgelehnt. Nach
Dr. Rippel sind die von diesem untersuchten Hohlwege an der „Kalten
Birke" in ihrer Ausprägung bestechend. Doch wurden verschiedene
Beobachtungen gemacht, welche die Annahme einer durchgehenden
gebräuchlichen Verbindung als sehr unglaubwürdig erscheinen lassen. Es
wurde von Dr. Rippel festgestellt, dass sich die Hohlwege im Wald immer
wieder verzweigen und ihre Zahl und Tiefe mit der Entfernung von Seesen
merklich abnimmt. Oberhalb des Taternberges ist
1) Horst, a. a. O., S. 124
2) Wegen des Vorkommens der Birke im Harz, Insbesondere in höheren Lagen
siehe Horst, a. a. O., S. 123 - 124
3) Spier, a. a. O., S. 32
4) St. A. Wob. 22 A Alt 1541B1.110 v.
5) Rippel, J. K.: Die Entwicklung der Kulturlandschaft am nordwestlichen
Harzrand, Hannover 1958
Chronik, Seite 187
nur noch ein gering eingetiefter Hohlweg wenige Meter nordöstlich der
Forstdiensthütte vorhanden. Er verliert sich zur „Kalten Birke",
der Wasserscheide zwischen Schildau und Innerste, vollends.
Nach Dr. Rippel handelt es sich hier um ein Netz sich verästelnder
Holzabfuhrwege, wie es in der Nähe einer Stadt (Seesen) mit einem hohen
Brenn- und Bauholzbedarf nicht anders zu erwarten ist. Jenseits der
Wasserscheide beginnt im Innerstetal ein eigenes Hohlwegsystem, welches
aus verschiedenen Richtungen von der „Kalten Birke" und aus dem
Gegental kommend, konzentrisch an der an der Innerstetalsperre
festgestellten Schlackenstelle zusammenläuft. Diese Hohlwege bezeugen
einen regen Holz- und Erztransport. Da auch das Mittelstück zwischen
beiden Hohlwegsystemen unmittelbar auf der Wasserscheide an der „Kalten
Birke" fehlt, kann hier lt. Dr. Rippel noch nicht von einem
Fernverkehrssystem gesprochen werden.
Von diesen Überlegungen unberührt bleibt die Bedeutung der „Kalten
Birke" für den Fußgängerverkehr, welcher erfahrungsgemäß den
absolut kürzeren Weg einschlägt und in der Zeit fehlender
Personenverkehrsrnittel eine hohe Bedeutung besessen hat. Auch der
Flurname „Goslarer Stieg" dürfte seine Bedeutung als Fußweg oder
Eselsstieg unterstreichen. Über diesen Eselsstieg trippelten
jahrhundertelang Tragtierkolonnen mit Erzen des Rarnmelsberges zu den
Hütten in der Nähe von Seesen. Ein „Fußsteig von Seesen über die
Kalte Birken"ist in den Abriss von Groscurt vom Jahre 1678
eingetragen.
Chronik, Seite 188
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