DIE CHRONIK
von
HAHAUSEN

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Von den Gründerjahren bis zum 1. Weltkrieg

Obwohl die so genannten „Gründerjahre", d. h., die Zeit umfangreicher wirtschaftlicher Neugründungen, meist erst ab Anfang der 1870er Jahre gerechnet werden, haben diese in Hahausen schon wesentlich früher begonnen. Sowohl die Kupferschiefergrube Neu-Mansfeld mit der dazu gehörigen Hütte wie auch die zahlreichen kleinen Eisensteingruben am nordwestlichen Harzrand waren schon in den sechziger Jahren und früher entstanden und z. T., wie Neu-Mansfeld, bereits wieder eingestellt worden, doch darüber soll an anderer Stelle berichtet werden.

Dennoch machte sich auch in Hahausen nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870-71 ein wirtschaftlicher Aufschwung bemerkbar. Zahlreiche Neubauten wurden errichtet, so auch die jetzige Neustadt auf der ehemaligen Schweineweide, „vorm Schweinskötteldore", und das Oberdorf. Nicht nur die Landwirtschaft profitierte, nachdem bereits in den 30er und 40er Jahren die aus den Hand- und Spanndiensten resultierenden Verpflichtungen und 1835 der Zehnte abgelöst worden waren, sondern auch die Holz verarbeitenden Betriebe. Bis in die Jahre vor dem 1. Weltkrieg war das Köhlereiwesen in Hahausen sehr verbreitet. Das Dorf hatte mehrere Köhlereibetriebe, bei denen bis zu 15 Köhler beschäftigt waren. Ein Köhler hatte durchschnittlich drei Meiler zu bedienen. Die Köhler, insbesondere die selbständigen Köhlermeister, waren recht wohlhabende Leute. Die ehemaligen Kohlstellen kann man noch jetzt an den dunklen Bodenverfärbungen im Wald und auch in der Feldmark erkennen. Im Jahre 1873 wurde in Hahausen ein Turn- und Gesangverein gegründet. Nachdem bereits 1856 die Braunschweigische Südbahn mit dem Bahnhof Neuekrug eröffnet worden war, wurde im Jahre 1874 die Bahnlinie nach Langelsheim / Goslar gebaut. Sie war bis in die 90er Jahre eine eingleisige Strecke. Sowohl beim Bahnbau wie auch beim Betrieb der Eisenbahn fanden viele Hahäuser Beschäftigung.

Von großer Bedeutung für die Landwirtschaft war die nach langwierigen Vorbereitungen im Herbst 1880 durchgeführte Separation. Bereits in den Jahren 1875/76 war eine Vermessung der gesamten Feldmark durch den Landesökonomie-Kondukteur Benze erfolgt. Die Feldmark von Hahausen umfasste vor der Separation 794 Morgen, 60 Ruthen. Im Dorf befanden sich um 1880 l Schriftsassengut, 4 Kärrnerhöfe, 10 Vollkothöfe, 15 Halbkothöfe, 8 Brinksitzerstellen, 53 Anbauerstellen, eine Kirche, eine Schule, ein Stationsgebäude, eine Forstdienststelle, das Armenhaus ohne Nummer (Doktorhof), das Hirtenhaus Nr. 11 und das Spritzenhaus.

Bis zur Separation waren die Ländereien der einzelnen Bauern recht zerstückelt. Ein Teil der Ackerstücke sowie der Wiesen unterlag der gemeinschaftlichen Hütung, alle übrigen Ländereien waren hudefrei. Die Weide wurde in neuerer Zeit von den Interessenten nur mit Rindvieh, Schafen, Schweinen und Gänsen genutzt. Von der Gemeinheit wurden sowohl l Kuh-, l Schweine- und l Gänsehirt sowie 2 Schäfer unterhalten, welche als Lohn erhielten: der Kuh- und Schweinehirt außer freier Wohnung im Hirtenhause und Nutzung der Hirten-

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Bahnhof Neuekrug-Hahausen



Ehemaliges Spritzenhaus

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grundstücke von den Viehbesitzern der erstere für jede auf die Weide gebrachte Kuh l'/2 Vierfaß Roggen, für jedes Rind l Vierfaß Gerste, für jedes Kalb 50 Pf. oder ein Brot, der letztere für jedes ausgetriebene Schwein 70 Pf. Der Gänsehirt erhielt für jede gehütete Gans wöchentlich 2 Pfennig, die beiden Schäfer jährlich einen Lohn von zusammen 900 Mark.

Es heißt: „Der Normalviehbestand ist nach getroffener Vereinbarung auf 268 Weidekühe festgestellt" und weiter „die Schule ist mit dem fixierten Viehstamme von 2 Kühen, l Rind und 3 Schweinen = 27/a Weidekühe zur Weide berechtigt". Es gab insgesamt 46 Weideberechtigte. Die gemeinschaftliche Hirtenhaltung wurde mit der Separation aufgehoben, desgleichen die gemeinschaftliche Schäferei und Samenviehhaltung. Die Gemeinde erhielt das Hirtenhaus Nr. 11, das bisher im Besitz der Weideinteressentschaft war. Über die durchgeführte Separation wurde im Jahre 1902 ein „Rezeß die Spezial Separation von Hahausen betreffend" erstellt, der die Nummer 804 trägt. Das für die Gemeinde Hahausen ausgestellte Exemplar befindet sich im Büro der Samtgemeinde. Es ist in Leder gebunden und sehr voluminös. Es heißt darin: Die Ausführung der Separation hat wie folgt stattgefunden:

  1. I. Im Herbst des Jahres 1880 haben die Interessenten die neuen Pläne hudefrei in Besitz genommen.

  2. Seit 1. September bzw. Martini 1880 cessieren die Gemeinschaften in Betreff der Hirten und des Samenviehes bzw. der Schäferei.

  3. Die in § 23 dieses Rezesses erwähnten Kapitalentschädigungen sind nach Maßgabe der in den Kommissionsakten befindlichen Registratur vom 20. März 1890 berichtigt.

  4. Die in § 15 dieses Rezesses bezeichneten Anlagen sind bis zum Jahre 1902 vollständig hergestellt.

Am 8. Dezember 1902 wurden in der Schweckendiekschen Gastwirtschaft in Hahausen die Unterschriften vollzogen. Die Kosten der Separation beliefen sich auf insgesamt 14.424.80 Mark.

Durch die Separation kamen Teile der angrenzenden Forstgemarkungen und Gemeindegebiete zum Gemeindegebiet Hahausen, 1891 wurde die Inquilinen-länderei der Feldmark Seesen dem Gemeindebezirk Hahausen zugelegt. Dadurch erfuhr Hahausen eine wesentliche Vergrößerung.

1880 hatte Ohms bereits eine Dreschmaschine angeschafft, mit der er im Winter von Hof zu Hof zog,1886 wurde die Wehrenpfennig'sche Glashütte gegründet, die jedoch Ende des Jahrhunderts wieder stillgelegt wurde. Hahäuser Bauern gründeten 1895 eine Molkereigenossenschaft in Illers Insthaus, später war sie eine Privatmolkerei bei Ohlendorf und 1905 stellte Hoffmeister in dieser Molkerei auch Harzkäse her. Eine Filzfabrik wurde 1901 eingerichtet und größtenteils mit polnischen Arbeiterinnen betrieben. Sie wurde 1909 wieder geschlossen. 1912 baute der Köhler Hoffmeister beim Meilenstein (an der jetzigen B 248) einen Holzkohleofen. In ihm gewann man nicht nur Holzkohle, sondern auch Rohessig, Holzteer und Holzgas. 1913 wurde eine Retorte angebaut. Die Gebrüder Zimmermann betrieben sowohl einen Brunnenbaubetrieb wie seit 1909 den Steinbruch am Steimkerbach.

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1885 hatte Hahausen 890 Einwohner, nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1905 deren 869, die in 212 Haushaltungen und 136 Wohngebäuden lebten, davon in „Neuekrug, Bahnhof und Weiler" 142 Einwohner, 27 Haushaltungen und 14 Häuser. Bis zum Jahre 1910 erfolgte eine Abnahme der Bevölkerung um weitere 30 Personen und 10 Haushaltungen und 3 Wohngebäude, die Einwohnerzahl von Neuekrug belief sich jetzt auf 125, die nach wie vor in 27 Haushaltungen, aber jetzt in 15 Häusern lebten.

Trotz dieses geringfügigen Rückganges, der hauptsächlich auf die Stilllegung der Glashütte zurückzuführen ist, hatte Hahausen in weniger als einem Jahrhundert einen gewaltigen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen, wenn man bedenkt, dass das Dorf 1823 452 und 1858 666 Einwohner hatte. Dies ist vor allem auf den wirtschaftlichen Aufschwung und den enormen Fortschritt im Gesundheitswesen, hier besonders durch den Rückgang der Säuglingssterblichkeit, zurückzuführen.

Während die Gemeinde Hahausen Ende des 19. Jahrhunderts von dem Gemeindevorsteher Kappey geleitet wurde, war seit der Jahrhundertwende der Kärrner Karl Lowes Gemeindevorsteher. Beide Gemeindevorsteher waren bei der Bevölkerung beliebt und geachtet.

Politisch hatte sich im Lande Braunschweig seit dem Tode des Herzogs Wilhelm, der am 18. Oktober 1884 unverheiratet und kinderlos gestorben war, manches getan. Da Preußen die nun fällige Erbfolge der hannoverschen Linie des Weifenhauses nicht anerkannte, wurde zunächst ein Regentschaftsrat eingesetzt. Am 21. Oktober 1885 wurde Prinz Albrecht von Preußen zum Regenten gewählt. Er schloss 1886 eine neue Militärkonvention mit Preußen und setzte 1899 ein neues Landtagswahlrecht durch. Nach Albrechts Tod im Jahre 1906 führte zunächst ein Regentschaftsrat die Regierung, bis am 28. Mai 1907 Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg zum Regenten gewählt wurde. Sowohl die Regierungszeit des Herzogs Wilhelm wie auch die der Prinzregenten wurde von unseren Vorfahren, wie der Verfasser noch aus Erzählungen von Zeitgenossen erfahren konnte, als eine für unser Land sehr glückliche Zeit angesehen. Dennoch darf die Verschärfung der sozialen Gegensätze und auch das ungerechte Dreiklassenwahlrecht nicht übersehen werden.

In den Jahren vor dem 1. Weltkrieg kam das Automobil auch nach Hahausen. Dr. med. Haars in Lutter hatte ein solches Vehikel. Er lud dann auch Lorechen Brandes, die Botenfrau, die täglich den Weg nach Lutter zur Apotheke zu gehen hatte, ein, mit ihm in seinem neuen Auto nach Lutter zu fahren. Das Ereignis wurde natürlich von den herumstehenden Kindern ausgiebig beobachtet und kommentiert. Lorechen Brandes, nachdem sie sich nach reiflicher Überlegung und ausgiebigem Kopfschütteln zum Einsteigen entschlossen hatte, meinte dann, zu den Kindern gewandt: ,Jaja, Kinder, wenn eck nich wedderkome, denn könnt jei meine Knoken up'n Rodfelle tausammenseuken!" Nun, die Kinder brauchten die Knochen von Lorechen Brandes

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nicht auf dem Rodfelde zusammenzusuchen, sondern sie kam nach einigen Stunden mit stolz geschwellter Brust aus Lutter zurück. Von jetzt ab nutzte sie die Sprechtage von Dr. Haars in Hahausen stets, um einen Weg zu sparen.

Nun, die Zeit vor dem ersten großen Krieg war eine geruhsame Zeit, es gab kein Radio und kein Fernsehen, die Unterhaltung bestand im Besuch der Spinnstuben und sonntags aus einem Gang in die Gastwirtschaft. Aber da ließen sich nur die Männer sehen. Hin und wieder fand auch ein Tanz im Dorfkrug statt und der 1873 gegründete Turn- und Gesangverein förderte das Gemeinschaftsleben. Verkehrsprobleme gab es auch nicht, denn am I. Januar 1914 wurden im gesamten Herzogtum Braunschweig nur 758 Kraftfahrzeuge gezählt. 1913 versöhnten sich Weifen und Hohenzollern. Am 24. Mai vermählte sich Prinz Ernst August, ein Enkel des letzten Königs von Hannover, mit der Kaisertochter Viktoria Luise. Im November desselben Jahres zog das junge Herzogspaar unter ungeheurem Jubel der Bevölkerung in Braunschweig ein. Endlich hatte das Land wieder einen Herzog. In Hahausen wurden, wie überall im Lande, die Kirchenglocken geläutet. Viele Hahäuser waren in die Residenzstadt gepilgert, um dem jungen Paar zuzujubeln.

Dies Idyll wurde ein knappes Jahr später durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges gestört.

Der Kriegsausbruch entfachte zunächst eine ungeheure Begeisterung. Die jungen Burschen hatten, so berichten alte Hahäuser, große Angst, dass der Krieg zu Ende gehen könnte, bevor sie eingerückt und an die Front gekommen seien. Es hieß: „Weihnachten sind wir wieder zu Hause!" Man zog dann auch blumengeschmückt und frohen Mutes in die Kasernen.

Inzwischen begannen die Truppentransporte. Nachts hörte man das Rollen der Militärzüge. Durch den Bahnhof Neuekrug kamen an die 60 Züge am Tage, darunter schwere österreichische Motorbatterien. Die Truppen wurden auf dem Seesener Güterbahnhof verpflegt. In Hahausen wurden Wachen aufgestellt. Man beobachtete die Ortseingänge wegen fremder Automobile und Spione. Nach den Stunden des Aufbruchs wurde es jedoch still im deutschen Land. Die Soldaten kämpften an den Fronten gegen einen überlegenen Gegner, der Krieg forderte Opfer, viele Hahäuser verbluteten auf den Schlachtfeldern, wurden verwundet oder gerieten in Gefangenschaft, sehr viele erhielten Auszeichnungen. Doch die Heimat wollte der Opferbereitschaft der Frontsoldaten nicht nachstehen. Es wurden Sammlungen veranstaltet, so für die „Ostpreußenhilfe", nachdem die russischen Heere in Ostpreußen eingedrungen waren und das Land durch den Sieg Hindenburgs bei Tannenberg wieder befreit werden konnte, für den Lazarettzug „Viktoria Luise", für das Sanitätswesen überhaupt wie für das „Rote Kreuz,,. Es gab die „Nationalstiftung", „Frauendank", den „Braunschweiger Opfertag", die „Hindenburg-Geburtstagsspende" und die „U-Boot-Spende". In Hahausen wurde 1915 die evangelische Frauenhilfe gegründet, die für die Soldaten strickte und Liebesgaben sammelte und verschickte.

Tapfer nahmen die Frauen und mit ihnen die Alten und Heranwachsenden die Lasten und Sorgen auf sich.

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n der Holzkohle- und Essigfabrik von Hoffmeister wurde Holzkohle für die Pulverfabrik Kunigunde produziert. Monatlich wurde ein Waggon Holzessig und Holzteer hergestellt. In der Retorte wurden täglich 3 Meter Buchenholz verarbeitet. Bis zum Jahre 1916 wurden in den Wäldern noch Kohlen gebrannt. So errichtete Heinrich Sommer 1916 noch einen Meiler.

Russische und französische Kriegsgefangene kamen nach Hahausen, wo sie in der Landwirtschaft eingesetzt wurden.

Die wirtschaftliche Situation des Deutschen Reiches wurde immer schlechter. Im März 1915 wurde erstmals die Brotkarte, 1915/16 die Petroleumkarte ausgegeben, 1916 wurden die Fleisch-, Fett- und Eierkarten eingeführt. Die Hausschlachtungen wurden eingeschränkt und kontrolliert. Die Schulkinder sammelten Brennesseln zur Faser- und Bucheckern und Zwetschgenkerne zur 01-gewinnung.

Nachdem es bereits im Sommer 1917 auch im Herzogtum Braunschweig zu Arbeitsniederlegungen gekommen war, kündigte sich im Jahre 1918 das Ende des großen Völkerringens an. Die Nachricht von der in den ersten Novembertagen 1918 ausbrechenden Revolution schlug in Hahausen wie eine Bombe ein. Alles war wie gelähmt. Am 8. November 1918 dankte Herzog Ernst August als erster der deutschen Bundesfürsten ab. Der Vorsitzende des Staatsministeriums Wolff wurde durch ein achtgliedriges rein sozialistisches Ministerium ersetzt. Die tragenden Kräfte der Revolution im Lande Braunschweig waren zunächst nicht wie in Berlin die gemäßigten Mehrheits-Sozialisten, sondern die Unabhängigen Sozialdemokraten, die von dem aus Bayern stammenden Redakteur Oerter geführt wurden. Am 10. November 1918 proklamierte der Arbeiter- und Soldatenrat, der sich wie allenthalben im Reich auch in Braunschweig gebildet hatte, die „Sozialistische Republik Braunschweig".

Auch in Hahausen fand eine „Revolution" statt. Man schlug dem Gemeindevorsteher Karl Lowes die Fensterscheiben ein, bedrohte ihn und entfernte Gemeindeakten. Auch versuchte man, den heimkehrenden Soldaten die Auszeichnungen, Kokarden und Schulterstücke abzureißen. Nachdem am 11. November 1918 mittags um 12 Uhr von deutscher Seite alle Kampfhandlungen eingestellt worden waren, ging der Krieg zu Ende. Er hatte Millionen von Menschenleben gefordert, davon 28 aus unserem Dorf.

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